10.05.2010

Gänsejagd in Ostfriesland

„Hast du Lust auf Gänse zu jagen? Wir könnten ein paar kriegen, sie gehen auf den Äckern zu Schaden.“ Mein ostfriesischer Freund Klaus, den ich auf einer Jagd im Altai kennen und schätzen gelernt hatte, weiß, wie man mich aufmüden kann – und deshalb „gönnte“ ich mir bei heißem Augustwetter die 450 km vom Taunus an die Nordsee. Ich sollte es nicht bereuen…

Nach der langen Fahrt schmeckte das herbe Jever doppelt gut, doch Klaus scheuchte mich schnell ins Bett, hatte er doch noch für den frühen Morgen die Gänsejagd organisiert. Die Vorfreude stieg, denn meine letzte Gänsejagd lag Jahrzehnte zurück, damals noch „buttendieks“, wie es im Nordfriesischen heißt, wenn im heutigen Nationalpark Wattenmeer gejagt wurde.

Halb fünf treffen wir auf die etwa 25köpfige Jagdgesellschaft. Zu dieser frühen Stunde hat keiner Lust auf Schnackerei, man beschränkt sich auf ein karges „Moin“, was vielleicht noch ergänzt wird durch „Du ock?“ „Jo.“ Man kennt sich eben und die Ostfriesen sind ohnehin nicht die Urgroßväter der langen Rede. Obwohl ich als Flensburger des Platts durchaus mächtig bin, verlangt mir die kurze Begrüßung des Jagdherrn doch alles ab. Das Ostfriesen-Platt hat doch mit dem Hochdeutschen nicht viel gemein. Aber, wie sagte Klaus in Kurzform: „Wi willt Gansen scheten!“ Jeder Revierkundige nahm 3-4 Gäste mit, um sie noch bei starker Dämmerung einzuweisen. „Go man dor hunnertfieftig Meters över de Weid, dann sett di hen un wach off.“ Klaus drückt mir noch einen Sack mit Lockgänsen in die Hand, die ich 30 Meter um mich herum aufstellen soll. Tatsächlich finde ich in der angewiesenen Richtung, nachdem ich zwei der hier allgegenwärtigen Gräben ohne „natte Fööt“ überwinden konnte, einen einfachen, aber effektiv mit Schilf verblendeten Schirm. Eilig bringe ich die Attrappen raus, stecke den Stingel in den Plastikkörper. Das soll die Chancen erhöhen…

Mit der Morgendämmerung kommt Leben in meine Umgebung: Vor mir kann ich einen See ausmachen, auf dem das Geschnatter von Enten und Gänsen immer lebhafter wird. Von dort sollen sie zur Äsung auf die Weiden einfallen, wo sie tatsächlich zur Nahrungskonkurrenz des Weideviehs werden sollen. Das müssen ja dann doch ein paar mehr sein. „Lott se man komen…“, denke ich – nun auch schon auf Platt.

Weiter entfernt fallen die ersten Schüsse. Auch andere Seen sind abgestellt worden. Stockenten streichen über mich hinweg. Wenn die doch schon frei wären…Eine Bekassine rätscht an mir vorbei. Doch nun kommt auch Bewegung in die Gänse vor mir. Der erste Flug formiert sich, zieht dann aber in eine andere Richtung. Ich verfolge den Flug, sehe plötzlich eine die Schwingen zusammenfalten und stürzen, ehe der Doppelschuss an mein Ohr dringt. Waidmannsheil!

Jetzt kommt aber auch ein Flug auf mich zu, 3 Stück. Enten, nein, der deutlich langsamere Schwingenschlag verrät die Gänse. Aber das sind doch keine Graugänse! Dieses exotisch bunte Gefieder – Nilgänse. Aber auch diese Neubürger sind frei, haben sie doch schon mancherorts die anderen Wasservögel verdrängt. Immer dichter streichen sie heran – meine Chance. Ich werde in meinem Schirm zum Wattwurm. Bloß keine falsche Bewegung, am besten gar keine. „Wräd-wräd“ – die Gänse sind fast direkt über mir. Jetzt gilt’s. Ich richte mich auf, die Flintenmündung sucht die dichteste Gans, überholt sie, der Finger krümmt sich – und ich jubele innerlich auf, als die Gans mausetot 20 Meter neben mir aufschlägt. Schnell, doch nicht konzentriert genug, versuche ich mich an der Dublette. Doch wild flatternd ihre Richtung wechselnd geben mir die großen Vögel das Nachsehen.

Macht nichts, ich habe meine Gans, freue mich. Schnell raus aus der Deckung, um meine Beute zu holen. Die will ich mir doch genauer ansehen. Dabei richte ich auch noch einige Attrappen wieder auf, die die mich umgebenden Rinder beim Beschnuppern zerlegt haben.

Ich bin noch gar nicht wieder ganz im Schirm verschwunden, als der nächste Flug auf mich zuhält. Wieder versuche ich in meiner Flecktarnjacke mit der Umgebung zu verschmelzen. Doch diesmal riechen die Langhälse den Braten (das Bild passt ja eigentlich gar nicht, oder doch?) und schwenken ab. Möwen streichen über meinen Stand- doch die sind nicht frei.

Jetzt wieder ein einzelner stärkerer Vogel von vorn. Vom steifen Schwingenschlag könnte es passen. Lautlos streicht er vor der aufgehenden Sonne heran. Gans? Alle Sinne gespannt, luge ich unter dem Schirm meiner Mütze nach vorn durch die Halme der Deckung. Nein, ich entspanne mich: Kormoran, der schlanke Schnabel und die Schwingenform lassen ihn ansprechen. Endlich habe ich Muße, mir den „Afrikaner“ anzuschauen. Eigentlich ja – wie auch die heimische Brandgans – eher ein Entenvogel. Farbenprächtig die schwarz-weißen Schwingen mit dem smaragd-grün schillernden Spiegel, aber auch der braune Brillenfleck auf dem hellen Kopf des adulten Vogels fesseln mich. Aber eigentlich passt er nicht in die friesische Landschaft. Viel zu spät hat man diesen Volierenflüchtling in die Liste der jagdbaren Vögel aufgenommen. Und jetzt wird man auch diesen Neozooen, mit all seinen negativen Auswirkungen auf die heimische Fauna nicht mehr los.

Fast hätten mich diese Gedanken die nächste Chance verpassen lassen. Das Wräd-wräd kündigt die nächsten Gänse an, nein, diesmal ist es nur eine einzelne Nilgans, die direkt auf mich zu streicht. Voll konzentriert schicke ich im Vorschwingen die 3mm-Schrote auf die Reise. Eine zweite Gans wird zu meiner Beute. Was für ein Waidmannsheil!

Es stört mich überhaupt nicht mehr, dass in der letzten Stunde des Anstandes die Gänse alle einen weiten Bogen um mich herum machen, ich genieße die Morgenstimmung, die Flüge von Krickenten, Kiebitzen und Rohrweihen, freue mich über die Schüsse meiner Nachbarn, bewundere Klaus, der lautstark eine Krähe imitierend einen der schwarzen Gesellen anlockt und gekonnt in den Krähenhimmel schickt – und streiche meinen Gänsen über das exotische Gefieder.

Gegen acht treffen wir uns wieder, fahren an dem See vorbei und stellen fest, dass sich Nilgänse nicht von ungefähr so stark verbreiten. Einige Hundert sitzen nämlich – wohl durch die Schüsse gewarnt – noch mitten auf dem See, ohne wie sonst zu den Äsungsplätzen zu streichen. Trotzdem zeigen sich die Beständer mit der Strecke von 17 Nilgänsen, 6 Graugänsen und 3 Krähen zufrieden – und ich bin es sowieso.

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